Saarländischer Rundfunk, SR2
Sendung Kultur Aktuell, 31. 8. 2001
"Oper für 4 Busse", Beitrag von Helga Spannhake

Anmoderation:

Es gab schon viele Versuche, die altehrwürdige Gattung der Oper mit neuem, frischem Leben zu erfüllen. Aber das wohl ungewöhnlichste Projekt dieser Art war am Wochenende in Berlin auf der historischen Museumsinsel zu erleben.

Unter dem Titel "Oper für 4 Busse" waren vier BVG-Busse in mobile Opernbühnen umfunktioniert worden und in ihnen spielten die vier Akte der Oper. Das Publikum stieg um - von Akt zu Akt, von einem neuen Klangerlebnis zum nächsten ungewöhnlichen Klangerlebnis.

Helga Spannhake über ein abgefahrenes Kunstprojekt:

 

Redaktionstext:

Motorengeräusche unterlegt

Die Künstlerin Gisela Weimann liebt es Alltagssituationen zu verzaubern, zu mystifizieren. Und was wäre wohl alltäglicher und langweiliger als eine Fahrt mit dem Bus? Nun, langweilig wird es bei den vier Berliner Opernbussen garantiert nicht. Die Fahrt beginnt vor dem alten Museum und führt im Schritt-Tempo wohlgemerkt über die Museumsinsel - vorbei an lauter altehrwürdigen Bauten, die sich vielschichtig in den Bussen spiegeln. Denn mit 2000 Spiegelornamenten ist jeder der vier Busse sowohl außen als auch innen beklebt. Glasermeisterin Carola Tillein:

O-Ton: "Wichtig ist dabei... ...hinten anlösen."

Ungefähr 800 Arbeitsstunden stecken in den von Hand verspiegelten BVG-Bussen. Und jeder Bus ist individuell mit den Spiegeln besetzt - einer horizontal, der andere vertikal und gegeneinander schräg verlaufen die Ornamente bei Bus Nummer 3 und 4. So entsteht eine unwirkliche Raumsituation durch die sich gegenseitig reflektierenden Spiegel, die auch den Betrachter auf der Straße in das Opern-Geschehen einbinden wollen - einfach indem sein Spiegelbild in den fahrenden Bus geworfen wird. Spiegel finden sich bei der Künstlerin Gisela Weimann immer wieder, sie üben offensichtlich eine starke Faszination auf sie aus:

O-Ton: "Seit Narziss begleitet... ...an sich hat."

Musik Russland unterlegt

So leuchten sie geheimnisvoll in der Abenddämmerung die verspiegelten Opernbusse und erzeugen immer neue Raumillusionen, je nach Standpunkt des Betrachters. Veränderlichkeit, Improvisation bestimmt auch die Musik der vieraktigen Oper. Musikalisch wird in jedem Bus ein Land repräsentiert - Russland, England, Finnland und Deutschland heißen die vier Stationen. Eine eindeutige erzählerische Handlung aber sucht man vergebens, das Werk soll sich entwickeln aus einem Wechselspiel von Eindrücken und Gefühlen, von Geräuschen und Klängen. So hat sich die russische Komponistin Natalia Pschenitschnikova inspirieren lassen von ihren eigenen Kindheitserinnerungen - Busfahren in Moskau:

O-Ton: "Es war besonders oft... ...innere Zustände."

Der Businnenraum ist in blaues Licht getaucht. Die Komponistin in einem schwarz-weißen kegelförmigen Gewand mit aufgesetzten kleinen runden Spiegeln gekleidet. Sie spricht mit einem zweiten Ich, führt einen inneren Dialog:

O-Ton: "Ja, ich denke... ...selbst geführt."

Musik England unterlegt

Dieser Dialog vermischt sich mit den geschüttelten Geräuschen des fahrenden Busses und zieht den Zuhörer unwillkürlich in seinen Bann - eine imaginäre Reise hat begonnen. Ein wenig tunken stolpert man nach 15 Minuten hinüber zum nächsten Bus und damit zum nächsten Land und Klangereignis: Für England hat Melvyn Poore komponiert und er verwebt die Worte des Iren John Montague und der Inderin Sujata Bhatt. Ihre Gedichte ergänzen sich zu einem neuen, beschreiben den steinigen Weg zur persönlichen Freiheit über das Medium der Sprache:

O-Ton: "Was für mich hier sehr... ...auch spielen."

Und beim Spielen mit dem Publikum, da ist der holländische Stimmkünstler Jaap Blonk ganz in seinem Element. Der ungewöhnliche Aufführungsort ist dabei für ihn eher nebensächlich:

O-Ton: "Für mich war die... ...doch eine Vorliebe."

Denn in einem kleinen Raum wie einem Bus, kann die eindringliche Stimme gepaart mit dem undurchdringlichen Blick Jaap Blonks bestens ihren fast diabolischen Zauber entfalten. Der Zuhörer wird direkter, aber zum Schweigen verurteilter Zeuge der besungenen Ereignisse - der Trauer eines kleinen irischen Jungen, der in der Schule gezwungen wird englisch zu sprechen. Unwillkürlich hält man den Atem an - und da ist es wieder das Rattern des Busses. Und verschwimmt schon wieder mit den Tönen der Bassklarinette Phillippe Micols, dem dritten Musiker im englischen Bus. Der rauchige Klang seines Instrumentes ergänzt die eigenwillige Performance.

Musik - Finnland - unterlegt

Zustände von Raum und Zeit begegnen einander im finnischen Part der Oper: Komponist Patrick Kosk vermischt elektronische Klänge mit Glockenartigem, Fremdes und Vertrautes trifft aufeinander und enthebt den Zuhörer weiter der Realität. Musikalische Collagen bestimmen ebenfalls den Raum des vierten Aktes der rollenden Opernbühne. Im deutschen Bus wirbeln literarische Vorlagen eines Goethe und Schillers durcheinander, ergeben so neue, teils absurde Texte. Sängerin Anna Clementi:

O-Ton: "Ich stell mir das... ...tanzen würde."

Musik - Deutschland - unterlegt

Aus der Reihe tanzen dürfen nur die Busfahrer nicht, denn ihnen obliegt der wohl schwierigste und realste Teil des Kunstprojekts: Die großen Gelben ohne anzuecken an den Gebäuden und Baucontainern der Museumsinsel vorbei zumanövrieren. Fahrer Roland Heinke über die ersten Proben:

O-Ton: "Wir haben ja... ... gekommen sind, ja."

Dann aber wurde sie gefunden, die ideale, aneckfreie Route und der Uraufführungsfahrt stand nichts mehr im Wege. Alles in allem war dieser Opernabend eine bewegende Reise voller Überraschungen - visueller sowie akustischer. Ungehörtes erklang und bisher so nie gesehenes wurde gespiegelt sichtbar. Mit der "Oper für 4 Busse" scheint die Gattung der Oper den Sprung ins 21. Jahrhundert vollzogen zu haben.

Musik - Deutschland -

 

Länge: 7:06

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